Die Bedeutung des Kunstsachverständigen vor Gericht

Uwe Wasserthal, 1. Vorsitzender des BVK, berichtet im Journal „Kunst und Recht“ über seine Erfahrungen mit der manchmal schwierigen Rolle des Kunstsachverständigen vor Gericht.

Sachverständige werden bei Zivil- oder Strafprozessen immer dann benötigt, wenn die Zusammenhänge so komplex sind, daß ein Richter sie nicht mit „normalem“ Menschenverstand oder den Gesetzen der Logik bewerten kann. Dies bekommt bei Prozessen mit Kunstbezug besondere Bedeutung, da hier oft Kriterien eine Rolle spielen, die sich dem alltäglichen Empfinden entziehen. So ist zum Beispiel ein verblasster Salzpapierabzug einer Photographie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Regel sehr viel wertvoller als ein wunderbar kontrastreicher Albuminabzug vom selben Negativ des Photographen. Die Aufgabe des Kunstsachverständigen besteht nun darin, diesen Sachverhalt in seinem Gutachten so begründen, daß der Richter diese Bewertung nachvollziehen und zu einem Urteil gelangen kann, das diesen, ihm zunächst unlogisch klingenden, Bewertungsmaßstäben in einem sehr speziellen Fachgebiet Rechnung trägt. Aus der Sicht eines Richters klingt das zunächst recht einfach, kann er sich doch auf die Expertise eines Sachkundigen verlassen, der die in seinem Fachgebiet üblichen Bewertungskriterien gut kennt.

In der Praxis eines Kunstsachverständigen sieht dies aber etwas anders aus: Er bekommt vom Büro des Richters eine teilweise recht umfangreiche Original-Akte zugestellt (teilweise in einem wegen des Papiergewichts bereits beschädigten, einfachen Umschlag ohne besondere Zustellart in den Briefkasten geworfen) und soll auf der Basis dieser Unterlagen sein Gutachten erstellen. Das wäre nun auch möglich, denn im Idealfall ist der Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt und hat im Rahmen seiner Ausbildung diverse juristische Seminare besucht, wo man den Umgang mit solchen Akten lernt. Nun kommt aber die „heilige Kuh“ jeder Sachverständigenbeauftragung ins Spiel, der Beweisbeschluss. Dem Sachverständigen ist es untersagt, in seinem Gutachten Dinge anzuführen, die außerhalb des Beweisbeschlusses liegen und gegnerische Anwälte lauern nur auf die Gelegenheit, im Extremfall die Berücksichtigung des Gutachtens bei der Urteilsfindung komplett abzulehnen. Im Bereich Kunst ist dies besonders prekär, da der Richter bei der Formulierung seines Beweisbeschlusses oft gar nicht wissen kann, welche Kriterien in diesem – sich oft den Kriterien der Logik entziehenden – Sachgebiet eine Rolle spielen. Ein Kunstsachverständiger mit Durchblick und Rückrat wird nun nicht einfach den, die Sache nicht treffenden, Beweisbeschluss abarbeiten und sich auf den Eingang der Vergütung auf sein Konto freuen, sondern den Kontakt mit dem Richter suchen, um den Beweisbeschluss sinnvoll abzuändern. Gute Richter freuen sich über die Mithilfe des Sachverständigen bei einer gerechten Urteilsfindung, aber es soll auch jene geben, die über den formalen Aufwand bei der Änderung eines Beweisbeschlusses nicht so glücklich sind. Gleiches gilt übrigens bei der Festsetzung des Prozesskostenvorschusses, oft können Richter nicht nachvollziehen, welcher Aufwand bei der Recherche zu so einem abstrakten Thema wie der „Kunst“ notwendig ist.

Ein weiteres Übel liegt in der Besichtigung von Kunstgegenständen. Jeder Sachverständige darf sein Gutachten nur auf der Basis der Besichtigung des Originals erstellen. Nun ist der Transport eines Kunstwerkes durch die erforderliche spezielle Verpackung und die extrem hohe Transportversicherung sehr teuer – mir wurde neulich der Transport zweier ca. 40 mal 50cm großen Photographien ohne Rahmen vom Ruhrgebiet nach Darmstadt für knapp 1.000 Euro angeboten. Also muß in der Regel der Sachverständige zum Kunstwerk kommen und die damit verbundenen Kosten verführen oft dazu, einen Kunstsachverständigen „aus der Nähe“ zu beauftragen, unabhängig von seiner Qualifikation. Dies kann im Kunstbereich nicht zielführend sein, denn den Allroundsachverständigen für Kunst gibt es nicht. Deutlich wird das an der Politik der Bestellung von Sachverständigen bei den IHKs, so müssen die meisten Sachverständigen im Bereich Malerei ihr Fachgebiet präzise eingrenzen, zum Beispiel „Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts“. Auch wenn es unbestritten viele Sachverständige mit exzellenter Sachkenntnis ohne öffentliche Bestellung und Vereidigung gibt, muß ich hier doch einmal eine Lanze brechen für diese Form der Ausbildung. Wie leider bei vielen privaten Auftraggebern nicht bekannt, ist der Begriff des „Sachverständigen“ nicht geschützt und jeder darf sich zum Beispiel „Sachverständiger für Tankerunglücke“ nennen, obwohl er nie ein Schiff auch nur betreten hat. Das macht es für Richter nicht unbedingt einfacher, einen qualifizierten Experten zu finden. Fällt die Wahl des Richters jedoch auf einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, kann er zumindest sicher sein, daß dessen Ausbildung sowohl juristische Dinge bezüglich Gutachtenerstellung, als auch eine fachliche Prüfung vor Experten seines Sachgebietes beinhaltet.

 

Das Wissen um die korrekte Erstellung eines Gutachtens bekommt besondere Bedeutung, wenn der Sachverständige seine Expertise vor Gericht erläutern muß. Da geht es dann oft nicht nur um die verständliche und nachvollziebare Begründung eines Inhalts, sondern auch um Formalien. Gefundenes Fressen für Anwälte sind unklare Formulierungen wie „könnte“ oder „wahrscheinlich“, die oft die gesamte Aussagekraft einer wochenlangen Arbeit in Frage stellen. Aber auch wenn der Sachverständige klare Aussagen macht und diese auch begründet, versuchen hartnäckige Anwälte den Kern eines Gutachtens in Zweifel zu ziehen. Ich selbst wurde einmal so ungewöhnlich lange von einem Anwalt mit unsinnigen, immer wieder in die gleiche Richtung zielenden Fragen konfrontiert, daß der vorsitzende Richter sagte „nun ist es aber mal gut“ und den Anwalt bat, sich zu entspannen.

Ist die Anhörung des Sachverständigen beendet oder bei längeren Befragungen auch zwischendurch, werden seine Ausagen zusammengefasst und zu Protokoll gegeben. Dieses Protokoll bildet nun die eigentliche Grundlage der Urteilsfindung und sollte alle wichtigen Aussagen des vorliegenden Gutachtens und der nachfolgenden Befragung enthalten. Da dem Richter das Fachgebiet aber fremd ist, wird er bei der Zusammenfassung vielleicht wesentliche Aspekte nicht entsprechend gewichten. Er sollte also dem Sachverständigen die Gelegenheit geben, diese Zusammenfassung gegebenenfalls zu korrigieren, denn was einmal unwidersprochen im Protokoll steht, ist schwerlich wieder zu revidieren.

Zum Schluß vielleicht noch eine persönliche Bitte an die Richter: Obwohl bei den meisten Auftragserteilungen ein Formular beiliegt, ob der Sachverständige über den Ausgang des Verfahrens informiert werden möchte, bekommt man fast nie eine Rückmeldung. Wenn man seine Aufgabe als Sachverständiger in unserem Justizsystem aber ernst nimmt, möchte man natürlich wissen, welchen Beitrag man nun zu der Urteilsfindung geleistet hat und so eine Rückmeldung ist auch immer ein wichtiges Korrektiv bei der eigenen Qualitätskontrolle.